«Morgen - Kaffee - 15.00 Uhr» hatte mich Frau Grüün letzthin per SMS informiert. Die Einladung, für grüünsche Verhältnisse ungewohnt knapp, weckte mein Interesse, und ich machte mich am nächsten Tag auf, sie zu besuchen. Ihre Wohnungstüre stand offen, also trat ich ohne zu klingeln ein. Frau Grüün kam mir mit steifen Beinen marschierend, die Arme im Takt vor- und zurückschwingend, langsam entgegen. «G.U.T.E.N T.A.G - S.E.T.Z.E.N S.I.E S.I.C.H B.I.T.T.E - M.Ö.C.H.T.E.N S.I.E E.I.N.E.N K.A.F.F.E.E», erkundigte sie sich mit starrem Blick und monotoner Stimme und stellte nach zehn Sekunden ihre Frage erneut. «G.U.T.E.N T.A.G - S.E.T.Z.E.N S.I.E S.I.C.H B.I.T.T.E - M.Ö.C.H.T.E.N S.I.E E.I.N.E.N K.A.F.F.E.E» Ich schaute sie sprachlos an. Es musste ihr etwas auf den Kopf gefallen sein. Nach einem vergeblichen Versuch, eine Beule zu finden, nahm ich auf ihrer Küchenbank Platz und meinte dann vorsichtig: «Ähm ... nein danke, lieber einen Tee.» Meine Antwort löste Unerwartetes aus. Frau Grüün verwarf die Hände, seufzte und machte mir dann lauthals klar, Tee funktioniere tenk noch nicht. Tee sei noch nicht programmiert. Dann teilte sie mir eilends den Grund für ihr seltsames Verhalten mit. Sie gehe eben mit der Zeit und bereite sich jetzt vor. Wenn dann nämlich diese Roboter kämen, wolle sie parad sein. Und sie wolle wissen, wie das dann so sei mit denen. Und das erfahre man am besten, wenn man sich hineinversetze. Also in so einen Roboter, gell. Sie schaute sich um. Ihrer müsse dann einmal putzen können. Vor allem Putzen. Und auch Staub wischen, aufräumen und Wäsche waschen und aufhängen. Bügeln nicht unbedingt, das tue sie eigentlich noch ganz gerne.
Frau Grüün machte sich an, Teewasser zum Kochen zu bringen und überlegte dabei laut. Also gell, vielleicht seien diese Roboter ja auch schon da. Vielleicht sogar schon lange und man merke es einfach nicht, weil sie so gut konstruiert seien. Vielleicht seien ja viele Leute, denen man verkomme, so programmierte Maschinen. Ja, ziemlich sicher sei das so, sinnierte Frau Grüün. Die würden ja auch alle das gleiche machen, das gleiche kaufen, das gleiche denken und das gleiche nachplappern. Aber gell, stellte Frau Grüün mit einem Grinsen fest, wahrscheinlich könnten die ja auch gar nicht anders. Programmiert sei halt eben programmiert.
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Sie trainiere jetzt mental, sagte Frau Grüün bei unserem letzten Treffen und servierte mir eine Tasse aromatisch duftenden Kaffee. Zwar gehe es noch ein paar Wochen, aber sie fange lieber frühzeitig damit an. Und sie hoffe schwer, dass es dann klappe. Als ich wissen wollte, weshalb sie denn trainiere, erklärte mir Frau Grüün, dass sie doch immer so Mühe mit den Weihnachtsbeleuchtungen habe. Und, dass sie jetzt eben mental trainiere, dass das dann nicht mehr so sei. Also, dann, wenn diese dummen, blödsinnigen, schrecklichen ... Frau Grüün hielt inne.
Sie zeige mir jetzt grad, wie das gehe, sprach sie und setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Küchenboden, drückte ihre beiden Daumen auf die Zeigefinger, schloss die Augen und begann zu summen. «Ommm, ommm ...» Dann murmelte sie: «Das glitzernde Nilpferd mit der rosaroten Krone gefällt mir. Das glitzernde Nilpferd mit der rosaroten Krone gefällt mir.» Sie fügte ein zartes «Ommm ...» hinzu und sang darauf die erste Strophe von «Oh du Fröhliche». Als der letzte Ton verklungen war, ging das mentale Training von Frau Grüün weiter. «Die lasergesteurte Gartenbeleuchtung mit den flimmernden Sternen gefällt mir. Die lasergesteuerte Gartenbeleuchtung mit den flimmernden Sternen gefällt mir. Ommm ...» Dann stimmte sie «Leise rieselt der Schnee» an, um nach drei Strophen wieder zu ihren Mantras zurückzukehren. «Die kletternden Samichläuse an den Hausfassaden gefallen mir. Die kletternden Samichläuse an den Hausfassaden gefallen mir. Ommm ...»
Als Frau Grüün eine kleine Verschnaufpause einlegte, teilte ich ihr mit, dass ich noch ein paar Besorgungen zu machen hätte und jetzt gehen müsse, worauf sie mich zwischen zwei «Ommms» mit verklärtem Blick anschaute und lächelnd «Schöni Wienacht» hauchte. Ich nahm meine Tasche und ging auf Zehenspitzen zur Türe. Im Treppenhaus stehend, vernahm ich aus der Wohnung ein gedämpftes: «Das rot-grün-gelb blinkende Rentier gefällt mir, das rot-grün-gelb blinkende ...». Ich erinnerte mich an die bunten, im Sekundentakt aufblitzenden Lichterschlangen, die mich letztes Jahr so nervös gemacht hatten. Vielleicht sollte ich auch ..., dachte ich und begann sicherheitshalber mit einem innigen: «Ommm ...».
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Das sei schon verrückt, wie es heute efäng zu und her gäng, also auf der Strasse, meinte Frau Grüün letzthin ziemlich erbost. Man lese ja fast jeden Tag in der Zeitung, dass wieder jemand mit dem Auto verunfallt sei. Das seien also Zustände, grad wie im hölzigen Himmel, dort im Verkehr, und es sei kaum zu glauben, was so alles passiere. Einmal habe sie sogar gesehen, wie einer auf der Teufner Umfahrungsstrasse gewendet habe. Und zwar zmitzt auf der Fahrbahn, empörte sie sich.
Man sei sich ja des Lebens nicht mehr sicher, pfotterte Frau Grüün und schilderte mir dann Fälle von Fahren in angetrunkenem Zustand. Von Missachtung des Vortritts Von Geschwindigkeitsübetretungen innerorts und ausserorts und überall. Von zu spätem oder gar nicht Bremsen. Von zu wenig oder gar keinem Abstand. Von zuviel oder gar keinem eingeschalteten Licht. Und, und zwar allpot, von Nichtbeherrschen des Fahrzeugs.
Dann schmunzelte sie etwas und weihte mich in ein Geheimnis ein. Vor Jahren, aber das sage sie jetzt nur zu mir und ganz im Vertrauen, gell. Vor Jahren habe es ihr ja auch einmal fast den Wagen öbercheert. Grad vor der Hundwilertobelbrücke sei das gewesen. Also von Waldstatt her, gell.
Sie habe zu jener Zeit einen Renault besessen, und der habe halt ein bisschen geschaukelt in den Kurven, also jeweils dann, wenn sie etwas gar schnell unterwegs gewesen sei. Auf alle Fälle sei sie damals diejenige vor der Brücke, also die Kurve, nicht entlang der rechten sondern entlang der linken Leitplanke gefahren. Zum Grossen Glück sei keiner entgegengekommen, stellte sie erleichtert fest. Aber so sei es halt im Verkehr. Etwas Schwein gehöre halt einfach dazu.
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